Die belgische Regierung hat am 9. April 2020 eine Verordnung erlassen, mit der sichergestellt werden soll, dass auch in Corona-Zeiten Verwaltungsratssitzungen und Hauptversammlungen reibungslos abgehalten werden können. Diese galt zunächst bis zum 3. Mai. Nach Verlängerung gilt sie nunmehr bis zum 30. Juni 2020.
Schwere Zeiten für Hauptversammlungen
Die Hauptversammlung muss nach geltendem Recht innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres stattfinden. Der Jahresabschluss muss innerhalb eines Monats nach der Hauptversammlung und spätestens am 31. Juli 2020 bei der Nationalen Bank eingereicht werden. Das genaue Datum ist in der Satzung festgelegt. Bei den meisten Gesellschaften findet die Hauptversammlung im Mai oder Juni statt.
Die Einhaltung dieser Fristen ist 2020 inmitten der Corona-Krise schwierig, denn man darf nicht reisen, ja noch nicht einmal andere Personen treffen. Selbst wenn die Beschränkungen bald aufgehoben werden, können sich die Gesellschaften wegen des organisatorischen Vorlaufs hierauf nicht verlassen. Der Verwaltungsrat muss über Jahresabschluss und -bericht beschließen, die Einladungen müssen unter Wahrung von Fristen versandt werden. Und es ist damit zu rechnen, dass die Gesellschafter und die anderen Teilnehmer (Mitglieder des Verwaltungsrats, Wirtschaftsprüfer) selbst nach Aufhebung der Bewegungseinschränkungen wenig Neigung verspüren werden, um sich persönlich zu einer Hauptversammlung zu begeben. Es stellt sich daher die Frage nach Alternativen, gleichermaßen für Sitzungen des Verwaltungsrats und die Hauptversammlung.
Sonderregeln in Corona-Zeiten
Die Verordnung vom 9. April 2020 galt zunächst für die Zeit vom 1. März bis zum 3. Mai 2020. Die Regierung hat die Frist am 28. April 2020 verlängert, bis zum 30. Juni 2020. Das bedeutet, dass die neuen Regeln für alle Versammlungen von Gesellschaften (und Vereinigungen) gelten,
- die zwischen dem 1. März und dem 30. Juni 2020 einberufen werden;
- die zwischen dem Tag der Veröffentlichung der Verordnung im belgischen Staatsblatt (9. April 2020) und dem 30. Juni 2020 abgehalten werden müssen;
- die zwischen dem 1. März 2020 und dem Tag der Veröffentlichung hätten abgehalten werden müssen.
Wer schon eingeladen hat, kann auf die neuen Regeln umschwenken. Es spielt keine-Rolle, dass die Versammlung selbst erst nach dem 30. Juni 2020 stattfindet. Die neuen Regeln setzen die bestehenden Regeln (Gesetz oder Satzung) nicht außer Kraft. Diese gelten grundsätzlich weiter (Lesen Sie dazu weiter unten im Text).
Neue Regelung für Verwaltungsratssitzungen
Der Verwaltungsrat kann seine Sitzung telefonisch oder per Videokonferenz abhalten, selbst wenn das in der Satzung nicht vorgesehen ist. Die schriftliche Beschlussfassung ist bei Einstimmigkeit möglich ungeachtet anderweitiger Bestimmungen in der Satzung.
Neue Regelung für Hauptversammlungen
a) Hauptversammlung ohne physische Anwesenheit
Der Verwaltungsrat darf die physische Anwesenheit der Gesellschafter verbieten, wenn er nicht garantieren kann, dass die Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus eingehalten werden. Er hat dann zwei Optionen:
- Die Gesellschafter stimmen vorab mithilfe eines Abstimmungsformulars oder über eine Website ab. Das Formular enthält Tagesordnung und Beschlussvorschlag.
- Die Gesellschafter erteilen einer vom Verwaltungsrat bestimmten Person Vollmacht mit Vorgaben zur Stimmrechtsausübung.
Versammlungsleitung, Verwaltungsrat, Wirtschaftsprüfer und Bevollmächtigte können in vorgenannten Fällen über elektronische Kommunikationsmittel teilnehmen (z. B. Telefon- oder Videokonferenz). Für die Gesellschafter selbst kann eine Teilnahmemöglichkeit organisiert werden, muss aber nicht. Daneben ist es möglich, die Hauptversammlung virtuell abzuhalten. Das setzt voraus, dass eine bestimmte technische Infrastruktur vorhanden ist. Telefon- oder Videokonferenz kommen nur in Betracht, wenn der Gesellschafterkreis begrenzt ist.
b) Verschiebung der Hauptversammlung
Der Verwaltungsrat ist berechtigt, die Hauptversammlung zu verschieben, und zwar um zehn Wochen nach dem Datum, zu dem die Hauptversammlung spätestens stattfinden muss. Für Gesellschaften, deren Geschäftsjahr am 31. Dezember 2019 endet, bedeutet das, dass die Hauptversammlung bis zum 8. September 2020 verschoben werden kann. Der Jahresabschluss muss dann spätestens am 8. Oktober 2020 bei der Nationalen Bank eingereicht werden. Eine Verschiebung ist nicht möglich, wenn:
- der Verwaltungsrat im Rahmen des Alarmglockenverfahrens eine Hauptversammlung einberufen muss (Verlust des Nettoaktivvermögens);
- 10% der Gesellschafter die Einberufung einer Hauptversammlung verlangen.
Alternativen nach bereits geltendem Recht
Belgien hat seit Mai 2019 ein neues Gesellschaftsrecht. Seit dem 1. Januar 2020 gilt es für alle bestehenden Gesellschaften.
Verwaltungsrat-Sitzungen
a) Schriftliche Beschlussfassung für Sitzungen des Verwaltungsrats
Nach den neuen Regeln darf der Verwaltungsrat Entscheidungen in allen ihn betreffenden Angelegenheiten im Wege der schriftlichen Beschlussfassung treffen. Voraussetzung ist, dass alle Verwaltungsratsmitglieder mit dieser Form der Beschlussfassung einverstanden sind und es auch in der Sache Einstimmigkeit gibt. Früher war das anders: Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren war nur im Eilfall und unter außergewöhnlichen Umständen möglich, bei der Vorbereitung des Jahresabschlusses daher nicht.
Vorsicht ist geboten: die Satzung kann vorsehen, dass die schriftliche Beschlussfassung ausgeschlossen oder nur (wie früher) im Ausnahmefall möglich ist. Letzteres wird in vielen Satzungen stehen, da viele Gesellschaften von den neuen Möglichkeiten noch keinen Gebrauch gemacht haben und sich in ihrer Satzung die alte Regel wiederfindet, nach der eine schriftliche Beschlussfassung nur im Eilfall und unter außergewöhnlichen Umständen möglich ist.
b) Teilnahme auf Abstand
Eine andere Möglichkeit ist die Abhaltung der Verwaltungsratssitzung per Telefon- oder Videokonferenz, sofern in der Satzung vorgesehen. Es muss sichergestellt sein, dass es allen Verwaltungsratsmitgliedern technisch möglich ist, an Beratung und Abstimmung effektiv teilzunehmen.
c) Vertretung durch andere Verwaltungsratsmitglieder
Denkbar ist auch, die Sitzung in der Form abzuhalten, dass ein Verwaltungsratsmitglied von einem anderen Verwaltungsratsmitglied bevollmächtigt wird, wenn die Satzung das zulässt. In vielen Fällen wird die Satzung nicht erlauben, dass ein Verwaltungsratsmitglied mehr als ein anderes Verwaltungsratsmitglied vertritt.
Hauptversammlungen
a) Verschiebung der Hauptversammlung
Der Verwaltungsrat darf die Hauptversammlung unter bestimmten Voraussetzungen nur um drei Wochen verschieben. Die Hauptversammlung muss in diesem Fall bereits begonnen haben. Bitten alle Anteilseigner darum, sollte vorab eine Verschiebung möglich sein. Viel Zeit gewinnt man hierdurch nicht, da die Hauptversammlung innerhalb von sechs Monaten nach dem Ende des Geschäftsjahres stattfinden muss.
b) Schriftliche Beschlussfassung der Hauptversammlung
Schriftliche Beschlussfassung ist möglich, wenn alle Gesellschafter mit dieser Verfahrensweise einverstanden sind.
c) Teilnahme auf Abstand an der Hauptversammlung
Eine Teilnahme auf Abstand ist möglich, wenn das in der Satzung vorgesehen ist. Hierfür ist eine Reihe von Voraussetzungen zu erfüllen, damit dauerhafte Teilnahme und wirksame Stimmrechtsausübung gesichert sind.
Teilnahme auf Abstand bedeutet nicht, dass die Hauptversammlung insgesamt online abgehalten wird. Es muss immer noch eingeladen werden zu einer physischen Zusammenkunft an dem satzungsmäßig vorgesehenen Ort, wobei es den Teilnehmern freigestellt ist, sich dazu zuschalten. In jedem Fall müssen Verwaltungsrat und Wirtschaftsprüfer anwesend sein.
d) Teilnahme mit Vollmacht
Vorstellbar ist auch, dass die Gesellschafter entsprechend den Vorgaben der Satzung andere Teilnehmer zur Stimmrechtsausübung bevollmächtigen.
Autor: Klaus Heinemann, Partner der Kanzlei MVVP Advocaten/Avocats in Brüssel